von Verschiedene Autoren
Teil 4 - Die Tragödie und die unerledigte Aufgabe
An diesem Abend begeben wir uns in Gedanken in das Buch der Richter - und wie so ganz anders ist es als das Buch Josua! Ich glaube, das Buch der Richter ist das schrecklichste Buch in der Bibel! Und warum ist es ein solch schreckliches Buch? Weil es das Buch der unvollendeten Aufgabe ist.
Im Buch Josua zog das Volk Israel ins Land, und es hatte eine wunderbare Geschichte von Sieg zu Sieg, indem es sich immer weiter in Gottes vollen Vorsatz hinein bewegte. Dann, bevor sie das Werk beendet hatten, ließen sie es dabei bewenden. In den letzten Kapiteln des Buches Josua sehen wir, wie sich das Volk einfach zur Ruhe setzt, bevor das Werk fertig ist. Sie hatten den großen Ruf von Gott vernommen. Gottes Vorsatz wurde ihnen dargelegt, und sie waren darauf eingegangen. Sie hatten sie so weit bewegt, aber dann, bevor noch alles erledigt war, setzten sie sich zur Ruhe. Dann folgt das Buch der Richter, und das ist das Buch der Tragödie des unvollendeten Werkes.
Niemand von uns wird behaupten wollen, so etwas gebe es in der Christenheit von heute nicht! Es gibt viele Christen, die einen wundervollen Anfang machen. Sie sehen die Vision von Gottes großen Vorsatz, und bestimmte Worte im Neuen Testament üben einen großen Appell auf sie aus, wie zum Beispiel: «Berufen gemäß seinem Vorsatz» (Röm. 8,28). Das ist eine wunderbare Vision! «Nach dem ewigen Vorsatz, den er sich vorgenommen hat in Christus Jesus, unserem Herrn» (Eph. 3,11). Ein solcher Gedanke übt eine große Wirkung auf solche Leute aus, und gehen von Herzen darauf ein. Sie gehen soweit mit, aber dann bleiben viele allzu schnell stehen. Sie verlieren die Vision; sie verlieren die Inspiration; sie verlieren das Empfinden für ihre Bestimmung; sie verlieren die Energie, weiterzumachen, und von einigen müssen wir sogar sagen: «Etwas ist aus ihrem Gesicht verschwunden. Was einmal da war, ist jetzt nicht mehr vorhanden. Einst waren sie so positiv, mit der himmlischen Berufung beschäftigt, doch irgend etwas ist geschehen!» Diese Leute mögen sich dessen nicht voll bewusst sein, und sie würden euch natürlich nicht sagen, es sei etwas geschehen, aber es ist ganz offensichtlich, dass etwas geschehen IST. Sie haben einfach etwas verloren, und ihr bekommt nicht mehr dieselbe Reaktion, wie ihr sie einmal hattet. Sie sind jetzt nicht mehr so interessiert wie zuvor. Die himmlische Sicht ist aus ihrem Leben verschwunden. Das trifft auf viele Christen zu, und es konnte auch auf uns alle zutreffen.
So ist das Buch der Richter unser Lehrmeister. Was ich jetzt sage, sage ich nicht als Richterspruch - obwohl es aus dem Buch der RICHTER stammt! Ich hege eine sehr große Sympathie für diese Leute. O ja, ich weiß, wie falsch es war, und wie dieses Buch das Versagen dieses Volkes hervorhebt. Ich weiß, wie leid es dem Herrn darüber tat, aber aus meiner eigenen Erfahrung kann ich nicht anders als für sie Sympathie zu empfinden, denn ich glaube, dass ich sie verstehe.
Warum hörten diese Leute auf, bevor sie ihre Aufgabe erledigt hatten? Ich denke, es war vorwiegend deswegen, weil sie es müde wurden, alles richtig zu machen. Der Kampf zog sich lange hin. Er erstreckte sich über Jahre und war sehr anstrengend. Kaum hatten sie einen Sieg errungen, mussten sie aufs neue zu kämpfen beginnen. Sie hatten nicht lange Ruhe zwischen den einzelnen Kampfphasen. Es war ein Krieg, der sich lange hinzog; sie wurden im Kampf müde, und in ihrer Müdigkeit verloren sie die Vision, sie verloren den Mut, und sie verloren die Initiative.
Ich bin so froh, dass das Neue Testament bei allen starken Dingen, die es sagt, einige sehr nette und verständnisvolle Dinge darüber sagt: «Lasst uns im Gutestun nicht müde werden, denn zur rechten Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten» (Gal. 6,9); «Daher, meine lieben Brüder... eure Mühe ist nicht vergeblich im Herrn» (1. Kor. 15,58). «Gott ist nicht ungerecht, dass er euer Werk und euer Bemühen in der Liebe vergessen würde» (Hebr. 6,10). Wie viele ähnliche Stellen gibt es doch! Und Jesus sagte zu seinen Jüngern, die in den Kampf geführt wurden: «Euer Herz erschrecke nicht!» (Joh. 14,1), während wir die Worte des Herrn an Josua hören können: «Sei stark und guten Mutes; fürchte dich nicht und verzage nicht» (Jos. 1,9). Und wiederum sagte der Herr Jesus zu seinen Jüngern: «Wer BIS ZUM ENDE ausharrt, der wir gerettet werden» (Mt. 24,13).
Diese Leute im Buch der Richter waren durch Müdigkeit entmutigt - und wir alle sind dazu fähig! Manchmal ist es für uns nicht leicht, aufzugeben - oder vielleicht sollte ich eher sagen, es sei für uns nicht SCHWIERIG, aufzugeben - weil wir den Kampf nicht verlassen wollen, und dennoch möchten wir gleichzeitig gerade aus dem Kampf heraus. Der Kampf tobt im Innern, und selbst ein so großer Mann wie der Apostel hatte diesen Kampf. Er sagte: «Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll. Ich habe ein starkes Verlangen, abzuscheiden und beim Herrn zu sein, um aus dem Kampf heraus zu kommen, und doch weiß ich, dass meine Verpflichtung dem Herrn gegenüber mich im Kampfe bleiben lässt. Ich weiß nicht, ob ich aufgeben oder weitergehen soll!» Ich sage, dies sei eine mögliche Versuchung für jeden Christen, und der weiß alles darüber. Das Neue Testament ist voll verständnisvoller Dinge diesbezüglich.
Der erste Grund, warum diese Leute allzu früh aufgaben, war deshalb Entmutigung. Es war nicht so, dass sie nie gesiegt hätten - sie hatten oft gesiegt - aber weil sie sagten: «In diesem Kampf ist kein Ende abzusehen! Es sieht so aus, als würden wir nie damit fertig!» So gaben sie aus lauter Müdigkeit und Entmutigung allzu früh auf.
Ich habe das sichere Gefühl, dass das Buch der Richter das erkennt. Jedesmal, wenn diese Leute sich einen Ruck gaben, stellten sie fest, dass der Herr schnell bereit war, mit ihnen weiter zu machen. Dieses Buch ist das Bild eines «Auf-und-ab-Christenlebens». An einem Tag sind die Leute vor Verzweiflung am Boden, und an einem anderen Tag befinden sich hoch oben im Sieg. Es war jene Art von Christenleben, das stets oben und unten ist, doch wenn sie ihr Antlitz dem Herrn zuwandten, merkten sie, dass er auf sie wartete. Der Herr hatte nicht aufgegeben. Er war stets bereits, weiter zu machen. Ich denke, das ist die erste große Lektion in diesem Buch der Richter.
Welches aber war die Wirkung dieses Verlustes, dass sie so schnell aufgaben? Es war der Verlust der Vision. Sie sahen nur noch die Dinge in der Nähe und verloren Gottes ewigen Vorsatz aus den Augen. Sie verloren das, was Paulus «den Siegespreis der himmlischen Berufung» (Phil. 3,14) nennt, aus den Augen. Nun, das klingt wie ein Widerspruch, doch verloren sie die unsichtbaren Dinge aus den Augen! Da sagt ihr: «Was meinen Sie damit? Das ist Unsinn! Wie könnt ihr die Dinge sehen, die unsichtbar sind?» Paulus sagt: «Das Sichtbare ist zeitlich, das Unsichtbare jedoch ist ewig» (2. Kor. 4,18). Sie verloren die ewigen Dinge aus den Augen, weil sie zu sehr auf die sichtbaren Dinge schauten. Sie verloren die himmlische Sicht, weil sie sich so schnell zufrieden gaben. Soweit war ja alles gut, aber gerade dieses Gute wurde zum Feind des Besten.
Das erste also, was geschah, war der Verlust der himmlischen Sicht. Es funktioniert auf beide Arten. Wenn wir die himmlische Sicht verlieren, geben wir uns zu schnell zufrieden. Wenn wir uns zu schnell zufrieden geben, verlieren wir die himmlische Sicht. Und was meinen wir mit «sich zu schnell zufrieden zu geben»? Damit meinen wir, dass wir den kämpferischen Geist verlieren. In diesem Buch der Richter nahmen die Philister zu einer sehr hinterlistigen Strategie Zuflucht: Sie nahmen alle Kriegswaffen aus Israel fort, und alles, was ihn übrig blieb, war eine Feile zum Schärfen ihrer Ackerwerkzeuge. Alle scharfen Werkzeuge wurden ihnen weggenommen, und der Kampfgeist war unterminiert. Die Philister machten es den Israeliten unmöglich, zu kämpfen, und ihr wisst ja, dass da ein sehr großer Philister herumsteht. Die Strategie dieses großen Feindes des Erbes hat es darauf abgesehen, den Kampfgeist aus uns herauszunehmen. O, wie viel Unheil haben doch die Philister den Christen angetan! Wie steht es um unser Gebetsleben? Es gab eine Zeit, da wir mächtige Gebetskämpfer waren. Wir kämpften die Schlachten Gottes im Gebet. Wie steht es um unsere Gebetsversammlungen? Wo könnt ihr jetzt die Gebetsversammlungen finden, die sich in den geistlichen Kampf stürzen? Ja, wir bitten den Herrn um hundert und eins Dinge, aber wir kämpfen über einer bestimmten Situation nicht durch bis zum Sieg. Irgendwo steckt ein Leben in schrecklicher Knechtschaft, irgendwo macht ein Diener des Herrn eine schwere Zeit durch, und es gibt noch viele andere Aufrufe zum Kampf, doch wo sind die Gebetsgruppen, die diese Dinge aufgreifen und nicht aufgeben, bis sie geklärt sind? Der kämpferische Geist hat so viele in der Gemeinde verlassen. Das ist eine schlauen Strategie des Teufels! Verliert den Geist des geistlichen Kampfes, und ihr werdet aufhören, bevor das Werk vollendet ist.
Das nächste, was die Leute dazu brachte, allzu schnell aufzugeben, war der Geist der Welt, der unter sie kam. Was ist der Geist der Welt? Es ist der Geist des «Lass es dir gut gehen! Wir wollen essen und trinken, denn morgen sterben wir sowieso!» Und dieses Volk Israel blickte auf die Welt rundherum und, wenn ich das richtig verstehe, sagte es sich: «Diese Leute da haben es nicht halb so schwer wie wir. Unser Leben besteht aus einem fortgesetzten Kampf. Sie kennen das kaum, doch glauben sie, es sei richtig, es sich gut gehen zu lassen». Ich glaube, so war es zu jenem bestimmten Zeitpunkt.
Natürlich machte es Israel bis zu diesem Zeitpunkt dem Volk rundherum sehr schwer. Doch jetzt hatte Israel den kämpferischen Geist verloren, und es ging der Welt gut, weil die Gemeinde sie nicht mehr länger bekämpfte. Anstatt die Welt zu bekämpfen, schlossen sie Freundschaft mit ihr. Sie machten die Welt zu ihrem Freund, und so brachten sie das Werk nicht zu Ende. Kompromisse sind eine gefährliche Sache für das Erbe! Der Versuch, sich mit der Welt zu arrangieren, um es leichter zu haben, führt nur dazu, dass wir einen großen Teil des Erbes verlieren.
Lasst uns in einem besseren Ton abschließen. Wie ich zuvor sagte, Gott gab nicht auf, und sooft das Volk den Kampf wieder aufgriff, wieder und wieder, und sich aufs Neue auf Gottes Seite stellte, um den Feind zu bekämpfen, stellten sie fest, dass der Herr schon auf sie wartete. So haben wir die Geschichte von Deborah, die Geschichte von Gideon - und darf ich es wagen, auch Simson zu erwähnen? Immerhin, auch wenn Simson eine armselige Art von Mensch war, solange der Herr auch nur eine geringe Chance sieht, ergreift er sie. Vielleicht haltet ihr nicht viel von Simson - doch haltet ihr mehr von euch selbst? Wir sind doch alle armselige Kreaturen! Wir haben alle den Mut sinken lassen, wir standen alle unter der Versuchung, aufzugeben, wir alle haben zu schnell aufgegeben, wir sind alle müde geworden im Gutestun, doch ergreift aufs Neue das Schwert des Geistes! Nehmt den Kampf wieder auf, und ihr werdet feststellen, dass der Herr bereit ist und schon auf euch wartet.
Gideon - Deborah - Simson - und all die andern. Doch glaube ich, dass es einen gibt, der besser ist als sie alle - erinnert ihr euch an das wundervolle kleine Buch Ruth? Jedermann ist von diesem Buch angetan! Welch ein liebliches Buch der geistlichen Wiederherstellung ist es doch! Welches Bild von der Geduld des Herrn, von der Bereitschaft des Herrn, jede Gelegenheit wahrzunehmen! Wie beginnt dieses Buch? «Und es begab sich in den Tagen, als die Richter Gericht übten...» Das Buch Ruth fand also zur Zeit der Richter statt, das bis zu jenem Zeitpunkt die schrecklichste Zeit in der Geschichte Israels war, doch Gott war bereit, das ganze Bild zu ändern. Wir haben die zwei verschiedenen Bilder: Die Richter und Ruth, doch befanden sich beide in der selben Zeitperiode. Könnt ihr sehen, was ich zu sagen versuche?
Liebe Freunde, wir befinden uns in einem großen Kampf, und er zieht sich lange hin. Wir können in diesem Kampf sehr müde werden. Wir können den Mut verlieren und allzu schnell aufgeben. Vielleicht müssen wir aufhören, bevor die Arbeit vollendet ist. Das bleibt stets unsere Versuchung, die tragische Möglichkeit im Christenleben, doch der Herr gibt nicht auf. Er verzagt nicht, noch verliert er den Mut, und wenn wir wieder zu ihm zurückkehren, uns aufs Neue aufrappeln, unseren kämpferischen Geist zurückgewinnen und den guten Kampf fortsetzen, werden wir feststellen, dass der Herr jedesmal bereit ist, und dass er uns stets helfen möchte, bis zum Ende zu kämpfen. Er wird helfen, bis der Tag vergangen ist.
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